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Eine Kneipe

A hat heute ihren freien Tag.
Sie geht mitten durch die Stadt an vier englischen Straßensängern vorbei, drei stadtgelben Straßenbahnen und den Ständen mit Blumenkübeln aus Holland in eine Kneipe, in der sich die schönsten Menschen der Stadt aufhalten. Schöne Menschen bewegen sich langsam, sie tragen ausgefallene Kleider, sind belustigt, oder, wenn es in Mode ist, traurig und spöttisch. Mehr weiß A nicht von den schönen Menschen.
Die Kneipe ist voll von Spiegeln. Sie trägt den Namen einer Romanfigur, niemand weiß mehr darum und der Dichter ist glücklicherweise schon tot. Das Schwarz der Wände wird durch Grafiken betont, die Zeitung spricht von Ausstellungen.
Wer raucht, ist schöner. Wer rote Haare hat, ist schöner. Wer violette Hosen trägt, ist schöner. Wer viele Menschen, hier heißen sie Leute - wer viele Menschen kennt, ist schöner. Der Wirt ist am schönsten.
Hat man von all dem genug und schaut an die Decke, so baumeln Zeitungen und Schuhe, Köpfe und Zuckerdosen herab, denn auch die Decke ist nur ein Spiegel.
A hat genug von den schönen Menschen. Sie verläßt die Kneipe und läuft quer durch die Stadt auf den Händen nach Hause. Die vier englischen Straßensänger lachen ihr zu und auch sonst sieht die Welt, so auf den Kopf gestellt, friedlicher aus. Die schönen Menschen derweil werden noch immer von den Spiegeln in der Kneipe bewacht.


A zieht den Stöpsel raus, das Wasser fließt ab, sie bleibt sitzen, bis die Wanne leer ist. Schließlich steigt sie aus, trocknet sich schnell ab, nicht sorgfältig genug, das Hemd bleibt an der Haut kleben, die Strümpfe sind verheddert. Die Badewanne hat A's Liebster selbst in die Küche eingebaut, und A nennt den vorderen Teil der Küche ganz selbstverständlich Badezimmer. Vom Badezimmer geht sie in ihr Zimmer, es ist noch morgenkühl, der Vorhang bauscht sich. A freut sich auf die ersten Balkonstunden und sucht Papier und Schreibzeug zusammen.
Eine Palme, eine Tanne, Dill und Schnittlauchtöpfe (A's Kräutergarten), Strohblumen, Efeu, Sonnenblumen, die japanische Blumenmischung: auf dem Balkon stehen verschiedene Sehnsüchte eingetopft nebeneinander. Fast wie in einem alternativen Bücherregal der frühen achtziger Jahre: Die Kunst des Liebens, Kursbuch und Akzentesammlung von zweitausendeins, einige Brechts, Zen oder die Kunst ein Motorrad zu warten, Momo, Männerphantasien, Asterix.
A läuft in einer fremden Wohnung immer zuerst zum Bücherregal, dann in die Küche. Berichtigung: In Wohnungen ohne Bücherregal kommt sie selten.

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